Dekonstruktion von Massenprodukten im Werk von Stefan Sous
»Das Herstellen von Dingen entspricht dem Streben nach Macht. Nur in der Philosophie und der Kunst gibt es die Möglichkeit der Produktivität, die zu Reflexion und Expressivität führt, die die Dinge auf eine andere Ebene der Verantwortung stellt.« (Tony Cragg)
Schon seit den frühen 90er Jahren kombiniert der ehemalige Schüler von Tony Cragg an der Düsseldorfer Kunstakademie, Stefan Sous, technische Alltagsgegenstände mit Licht. Er »sammelte« es in Plastikbehältern oder sorgte in einer geplanten Außenarbeit dafür, dass Parkbänke zur Erleuchtung beitragen. Das Hauptaugenmerk der bildhauerischen Untersuchungen von Stefan Sous galt bisher jedoch technischen Alltagsgegenständen aus dem apparativen Bereich, die er Stück für Stück dekonstruiert und zur Analyse freisetzt. Sous nimmt Massenprodukte auseinander, vereinzelt sie und präsentiert sie im »schwebenden« Zustand, um größtmögliche Einsichten zu gewinnen.
Sous interessieren vor allem Vehikel, die Bewegung und Bequemlichkeit versprechen: Autos und Haushaltsgeräte, Rasenmäher und Staubsauger, ein Handmixer, ein Fahrstuhl oder ein Taxi waren unter den Apparaten, die der 1964 in Würselen bei Aachen geborene Künstler in jüngerer Zeit zu expressiven Raum-Zeit-Gebilden umgebaut hat. Die Gegenstände stammen aus einer kunstfernen Welt. Sie stehen bestenfalls in der Tradition des Ready-made, das von Marcel Duchamp bis zu Jeff Koons reicht. Aber Sous speist die Alltagswelt nicht wie jene Vorgänger eins zu eins in den Kunstkontext ein, sondern er nimmt die Dinge auseinander und untersucht die technische Alltagswelt, die immer noch für den Fortschrittsglauben unserer westlichen Zivilisation steht. Sous stellt diesen Glauben in seinen Installationen mit wissenschaftlicher Methode und leichter Hand in Frage.
»Pallas – ein Raumflug« stand 1996 am Anfang seiner Untersuchungsreihe: Sous lag unter einem Citroën DS 19. Er wollte das angejahrte Gefährt für den täglichen Gebrauch neu herrichten. Wegen enger Platzverhältnisse und in alter Shakertradition hängte er während der Reparatur die zahlreichen Ersatzteile einfach an die Decke. Nach ein paar Tagen erschien ihm die ganze Situation absurd und die eingesetzte Zeit vergeudet. Sous kam der Gedanke, Leben und Kunst enger zur Deckung zu bringen, seine zweckorientierte Operation künstlerisch umzuleiten. Darauf zerlegte er den gesamten Wagen und hängte alle seine Einzelteile an feinen Fäden in die Eingangshalle eines Düsseldorfer Bankhauses, für das er gerade eine öffentliche Skulptur konzipieren sollte. Dieser Vorgang stieß nicht nur beim Bankpersonal, sondern auch in der Kunstszene auf überraschtes, irritiertes, aber durchweg positives Echo.
Mit der Sorgfalt eines Uhrmachers verfolgt Stefan Sous seither konsequent eine künstlerische Strategie, die technische Ikonen des Konsums auf ihre reine Materialität zurückführt. Als räumliches Ereignis verlieren die Gegenstände ihren Gebrauchswert. Als Kunstwerke laden sie sich jedoch, wie christliche Reliquien, auratisch neu auf. Sous wertet die Gegenstände aber nicht nur um, sein Vorgehen ist ein höchst spielerischer Angriff auf den Fortschrittsglauben und damit auch auf die Kunst selbst: auf den Konstruktivismus der 20er Jahre und die Pop Art der 60er. Statt Maschinen, Technik und Massenproduktion mit fast religiöser Ehrfurcht zu verherrlichen, geht Sous den umgekehrten Weg. Er dekonstruiert die begehrten Objekte, die seit einem euphorisch gelebten Wirtschaftswunder kaum an Attraktivität eingebüßt haben. Dekonstruktion und Analyse folgen dabei philosophischen Methoden, wenn er die Gegenstände wie Begrifflichkeiten auseinander nimmt und von allen Seiten frei im Raum zu betrachten freigibt. Sie werden von der Wurzel her einsehbar und bilden auf gedanklich höherer Ebene neue Zusammenhänge. Sous purifiziert das Massenprodukt und entzieht ihm sein irrationales Potenzial: Rührgeräte und Rasenmäher stehen immer noch für Modernität und Fortschritt. Autos sind auch heute noch hocherotisch konnotiert. In Japan etwa werden sie zur Jahreswende in Tempeln geweiht, und in Europa verliert jedes Gespräch unter Autofreunden überraschend schnell an Sachlichkeit.
Stefan Sous hat den Stellenwert des Autos im Frühjahr 2001 in der Kunsthalle Osnabrück noch einmal auf die Spitze getrieben, als er die Teile eines Taxis im Chor einer profanierten Kapelle installierte und damit unmittelbar an die Situation des seit Jahrhunderten verehrten Karlsschreins im Aachener Dom erinnerte. Cremefarben, bei feierlicher Beleuchtung wirkte das im Raum schwebende Taxi wie ein Flugobjekt ins Jenseits.
Roland Barthes hat das Erscheinen des Citroën 1957 auf einem Pariser Autosalon in seinem Buch »Mythen des Alltags« in diesem Sinne enthusiastisch kommentiert. Nach dem französischen Kulturwissenschaftler war dieses Auto eine große Schöpfung, die offenkundig vom Himmel gefallen war und »mit Leidenschaft von unbekannten Künstlern erdacht wurde.« Für Barthes war der Citroën der Nautilus der Zeit. Er wirkte in seiner aerodynamischen Erscheinung fugenlos wie das Gewand Christi oder wie die Weltraumschiffe in Science-Fiction-Filmen.
Mit sachlicher Genauigkeit hat Sous das vielgeliebte Auto auf seine simplen Teile reduziert, sie wie Marionetten im dreidimensionalen Raum plaziert. Durch die Vereinzelung der Teile führt er das Vehikel wie in einem fliegenden Baukasten auf seine Strukturen zurück. Während nach diesem Prinzip die Durchschaubarkeit der Objekte zunimmt, entzieht er den Gegenständen zugleich das Geheimnis ihrer Funktion. Das maßvolle Auseinanderrücken der Teile im Raum, bei dem die ursprünglichen Silhouetten wie in Explosionszeichnungen erhalten bleiben, sorgt dafür, dass die technischen Gebrauchsgegenstände mit magisch-expressiver Bedeutung aufgeladen werden.
Diese Wirkung des Verzauberten kommt nicht zuletzt deshalb zustande, weil man die Fäden, an denen die Einzelteile der Geräte hängen, kaum wahrnimmt. Sie aber spannen das Ganze jeweils in ein mathematisches System aus Horizontalen und Vertikalen. Nicht zufällig nannte Sous eine seiner frühen Arbeiten – ein auseinandergenommenes Handrührgerät – »Mondrian«. Der niederländische Maler hatte Anfang des 20. Jahrhunderts damit begonnen, Landschaften in geometrische Systeme aufzulösen. In diesem Sinne überführt Sous das komplizierte Innenleben technischer Geräte in das Quadratsystem von horizontalen und vertikalen Fadenkreuzen. Er führt die Wirklichkeit jedoch nicht, wie Mondrian, auf rein abstrakte Werte zurück, sondern zerlegt sie in ihre Elemente, ohne den wiedererkennbaren Gesamtzusammenhang aufzugeben.
Stefan Sous hat sich in der Reihe räumlicher Objekte vor allem solcher technischen Gegenstände angenommen, die aus einer Zeit stammen, als das Innenleben von Haushaltsgeräten noch mechanisch mit Kippschaltern und Motoren, statt über Microchips gesteuert wurde. Mit einer gewissen Melancholie führt er eine fast vergangene Gegenwart noch einmal zur kritischen Analyse vor. Dabei verfolgt er zwei unterschiedliche Repräsentationsformen von Kunst und Werbung: Zum einen stellen seine Installationen ein bildhauerisches Problem dar, das verborgene Kräfte und Welten sichtbar machen will, zum anderen illustriert er Werbestrategien, wie sie etwa von der AEG in den fünfziger Jahren verfolgt wurden, als der Elektrokonzern mit Ablauffotos und Bausatzdarstellungen auf nachvollziehbare Weise für seine Geräte warb.
Sous seziert technische Körper auf wissenschaftliche Weise. Ahnung wird bei ihm zum Wissen. Objektivierung ersetzt die Emotion. Und doch erzeugt das Ergebnis Heiterkeit, die an absurde Situationen in Comicfilmen erinnert. Sous verwandelt die Gegenstände in energetisch aufgeladene, räumliche Gebrauchsanweisungen, in der ein jedes Teil seinem funktionalen Wert entsprechend am richtigen Platz erscheint. Im Moment des Auseinanderdriftens verlieren die Geräte jedoch nur vorübergehend ihre Funktionsfähigkeit. Der Citroën, mit dem die Reihe seiner Raum-Objekte begann, ist längst wieder zu einem fahrfähigen Auto zusammengesetzt und als Gebrauchtwagen verkauft worden. Die »Explosionsplastiken« von Stefan Sous provozieren nicht nur räumliche Dehnung, sondern auch das genaue Gegenteil. Die Gegenstände sind wie in einem unnatürlichen Spannungsmoment festgehalten, der mit einem Augenaufschlag des einst so populären HB-Männchens, wie im Traum zurückschnappen könnte, um nichts als die nüchterne Realität eines Staubsaugers, eines Handrührgerätes, eines Autos am Boden zurückzulassen. Mit den Mitteln der wissenschaftlichen Analyse dechiffriert Sous also nicht nur das technische Gerät und den Glauben daran, er versetzt es durch Vereinzelung in poetische Momente, die dem höchsten Umkehrpunkt eines in die Luft geworfenen Balls entsprechen. Indem er Logik und Gravitation scheinbar überwindet, verschafft Sous größtmögliche Einsicht.
Katja Blomberg